Kleine Schreibprojekte | Die Berghütte
Dieses Jahr fällt der dritte Advent auf den Jahrestag von Angelo und Wim. Die beiden sind seit genau fünf Jahren ein Paar, erlebten Hochs und Tiefs, Krisen ebenso wie ganz fantastische Zeiten miteinander.
Das letzte Jahr war besonders hart. Angelo wurde von einem schweren Schicksalsschlag getroffen. Wim wich ihm nicht von der Seite, war nicht nur... ein verlässlicher und verständnisvoller Partner, sondern für Angelo so etwas wie ein Fels in der Brandung, eine starke Schulter zum Anlehnen. Dabei stellte Wim eigene Bedürfnisse zurück und er tat es gern, er tat es aus Liebe.
Als Wim am frühen Nachmittag des zweiten Advents von der Arbeit nach Hause kommt, liegen eine Rose und eine Karte mit dem schlichten Wörtchen ›Danke‹ auf dem Küchentisch. Darin befindet sich eine Wegbeschreibung zu einer Hütte in den nahegelegen Bergen.
Überrascht und ein wenig aufgeregt bricht er auf, findet den beschriebenen Parkplatz auf Anhieb und legt bei beginnender Dämmerung den kurzen Aufstieg zu Fuß zurück. Im einsetzenden Schneefall kommt er an der Holzhütte an. Auch auf mehrmaliges Klopfen reagiert niemand. Mit pochendem Herzen öffnet er die Tür.
Die Geschichte: Der Schnee knirschte unter seinen Füßen, sein Atem kam stoßweise und ein weiteres Mal verfluchte er Angelo, dass der ihn hier nach draußen zitiert hatte. Sie hätten es jetzt so schön haben können, mollig warm, in ihrem eigenen Bett. Nach den Strapazen des letzten Jahres wäre es doch genau das Richtige gewesen – ein wenig Kuscheln, die Nähe des Anderen genießen – viel zu selten hatten sie das in den letzten Monaten gehabt. Alles war so schwer und so anders gewesen als früher. Die Leichtigkeit ihrer Beziehung, hatte einer Melancholie Platz gemacht, die Wim zwischenzeitlich fast erdrückt hatte.
Statt gemütlich mit seinem Freund im Bett zu liegen und sich in trauter Atmosphäre zu erholen und wieder neu kennenzulernen, stapfte er nun quer durch die Landschaft, wo einzig das Mondlicht ihm noch den Weg erhellte. Beinahe schwarz ragten die Bäume zu beiden Seiten in den Himmel. Wenn der Schnee nicht das Licht reflektiert hätte, wäre er wie ein Blinder durch die Gegen getapst. Suchend starrte er durch die Dunkelheit und presste frustriert die Lippen zusammen, als er bemerkte, dass seine Schuhe nicht wasserdicht waren. Er wackelte mit den Zehen und versuchte die unangenehme Nässe nicht zu beachten. Es gelang ihm allerdings nicht, stattdessen ärgerte er sich noch ein wenig mehr. Endlich tauchte vor ihm die besagte Hütte auf. Er musste zugeben, dass ihn ihr Anblick beeindruckte und auch ein wenig beängstigte. Denn kein Licht drang nach außen. Was sollte das denn? Er stieg mit pochendem Herzen die Stufen nach oben. Neben der Tür auf dem Boden stand eine Taschenlampe. Immerhin hatte sein Freund daran gedacht. Aber warum brannte denn kein Licht? Kein offenes Kaminfeuer? Kein Kuscheln davor? Seine Laune sank komplett in den Keller und am liebsten hätte er sich umgedreht und das Weite gesucht. Nun denn …
Wim gab sich einen Ruck, zog entschlossen die Schultern zurück, bevor er die Klinke hinunterdrückte. Immerhin schlug ihm Wärme entgegen, war sein erster Gedanke und er war froh, gleich aus seinen nassen Schuhen und Socken schlüpfen zu können. Eilig schloss er die Tür hinter sich, um ja nichts von der Wärme zu verschwenden. Neugierig ließ er den Strahl der Taschenlampe durch den Raum wandern. Als das Licht auf einen schwarzen Garderobeständer fiel, sackte ihm das Herz beinahe in die Hose. Mit einem erschrockenen Laut wich er zurück, denn im ersten Moment dachte er, es stehe jemand vor ihm. Dabei war es nur ein Kleidersack, der feinsäuberlich über einem Kleiderbügel an der Garderobe hing. Auf einem Zettel, der darauf gepinnt war, stand ›Zieh mich an‹. Wim trat näher heran, öffnete den Reißverschluss und inspizierte den Inhalt genauer. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Hatte Angelo tatsächlich …? Nun schlug sein Herz nicht mehr vor Angst, sondern vor freudiger Erregung. Hastig schälte er sich aus seinen Klamotten, zog sich splitternackt aus und griff nach der vorbereiteten Kleidung. Während er sich anzog, fand er einen weiteren Zettel in den Falten des Kostüms. ›Taschenlampe aus und auf die Knie, sobald du fertig bist.‹ Das ließ Wim sich nicht zweimal sagen. In Windeseile machte er sich bereit und sank auf alle Viere, ehe er das Licht ausknipste. Plötzlich war es stockdunkel. Nur noch sein Atem und das Rauschen seines Blutes waren zu hören. Er wusste nicht, wie lange er so verharrte, vermutlich keine fünf Minuten, aber er wagte nicht, sich zu bewegen. Nicht, wenn Angelo ihm so ein besonderes Geschenk wie dieses machte. Wie oft hatte Wim von einem Szenario wie diesem geträumt? Erregung machte sich mehr und mehr in ihm breit. Er spürte wie sein Blut zunehmend gen Süden pumpte. Allzugern hätte er seine Hände vom Boden gelöst und auf seine Körpermitte gelegt, um sich so ein bisschen Erleichterung zu verschaffen. Aber das war gegen die Anweisung.
Stattdessen fing er an sich abzulenken, die Gerüche der Hütte wahrzunehmen. Der Duft nach Holz und eine Note von Zimt und Orangen lagen in der Luft. Hatte Angelo vielleicht leckeren Punsch gemacht? Und wo blieb der überhaupt? Plötzlich spitzte Wim die Ohren, als er ein Geräusch draußen hörte, schwere Schritte, die die Stufen hinaufstiegen und kurz vor dem Eingang stoppten. Seine Handflächen fingen an zu schwitzen und er hob den Kopf in Richtung Tür. Erwartungsvoll. Vorfreudig. Ziemlich erregt. Und auch ein klein wenig ängstlich. Mit einem lauten Knall wurde die Tür jäh aufgerissen und er zuckte zurück.
»Hohoho! Seit wann so ängstlich?« Licht flammte auf, ließ Wim einen Augenblick blinzeln, ehe er sich an die Helligkeit gewöhnte. Er schaute auf zu dem Mann im Santa-Kostüm, der sich zu ihm hinunterbeugte und ihm einen liebevollen Klaps auf den Hintern gab. »Du hast da was Wichtiges vergessen.« Sein Freund, beziehungsweise Santa, griff nach einem roten Gegenstand, der unter dem Garderobeständer lag und stülpte es ihm über die Nase. »Hier bitteschön Rudolf – nun bist du perfekt.« Santas Atem streifte seine Wange und er raunte Wim ins Ohr: »Und jetzt … lass uns spielen.«
© Lena M. Brand